Donnerstag, 9. August 2012

Bursting Bubble


Hey meine Lieben,

wieder einmal ist ein ganzer Monat vergangen seit meinem letzten Bericht aus Swasiland. Wieder habe ich viel erlebt und stehe nun kurz vor meiner ersten Rückkehr in mein zweites zu Hause das mir jedoch emotional immer noch näher steht als dieses College an dem ich nun seit sieben Monaten ein abwechslungsreiches aber stressiges Leben verbringe. Mal sehen, wie das nach zwei Jahren aussieht.
Ich muss mich erstmal entschuldigen für den angekündigten ZEIT-Artikel der einfach nicht erscheinen wollte, ganz egal wie oft ich die Inhaltsverzeichnisse der letzten Ausgaben auf- und ablas. Von Mr. Nodder, unserem Direktor, erfuhr ich dann, dass Frau Otto nach ihrem Collegebesuch in den Urlaub gefahren ist und der Artikel erst nach ihrer Rückkehr veröffentlicht wird. Vielleicht klappt es ja diese Woche ;)
Ein anderer Artikel hat es jedoch an die Öffentlichkeit geschafft. Eine Kommunikationsstudentin hatte mich vor zwei Monaten interviewed, um in der Münchner Universitätszeitschrift einen Artikel über Waterford und UWC im allgemeinen zu verfassen. Das Magazin: “Communichator” kann unter folgendem Link heruntergeladen werden:
Der Waterford-Artikel ist auf Seite: 28
Viel Spaß beim Lesen. Leider ist die Beschriftung des ersten Fotos etwas irreführend. Meiner Meinung bin ich der erste und nicht der zweite von rechts.
So, aber nun zu Neuigkeiten aus dem letzten Monat:

Eine sehr gute und lebensbereichernde Erfahrung war die Erfüllung eines Planes, den ich schon seit einigen Monaten hegte. Der Besuch einer durchschnittlichen Swasifamilie. Die Mutter einer Mitschülerin, die als Entwicklungshelferin in einer Swasi-Community arbeitet, organisierte mit den Kontakt. So stieg ich also um 4 Uhr am Freitag nach der Schule in einen Minibus, der mich in eine kleine Stadt brachte, Piggs Peak. Dort musste ich einen anderen Minibus besteigen, den Vater der angestrebten Familie anrufen und das Handy an den Busfahrer weiterreichen, dem dann die Bushaltestelle auf SisSwati erklärt wurde, an der er stoppen und mich rauslassen sollte. Es war mittlerweile stockdunkel und ich war sehr gespannt, was genau mich am Ende dieser kleinen Reise erwartete. An dieser Stelle muss ich mich für mein schlechtes Namensgedächtnis entschuldigen. Swasinamen mit all den Klick- und Schnalzlauten wollen einfach nicht in mein Hirn und so kann ich meine Gastgeber nicht namentlich nennen, vielleicht klappt das nach meinem nächsten Besuch dort, der auf jeden Fall folgt. Ich wurde also von dem Familienvater, der des Englischen mächtig war, und seinem jüngeren Bruder empfangen und über holprige Sandwege zu einem Homestead geführt. So nennt man hier das Wohngebiet einer Großfamilie mit einigen kleinen Häuschen, Feldern und jede Menge Tieren. Im Wohnzimmer des Haupthauses begrüßten mich 7 weitere neugierige Gesichter. Die Großmutter sitzt mit ihrer Tochter und 5 Enkeln an einem kleinen Tisch, arbeitet an einem Handbesen und begrüßt mich freundlich auf SisSwati, die Kinder schauen mich anfangs sehr skeptisch an. Ich war der zweite Weiße, den sie bisher in ihrem Haus gesehen hatten. Es wurde Tee serviert, gebraut aus dem Zitronengras, das vor der Haustür in großen Büschen wächst (ich werde ein großes Paket getrocknet mit nach Hause bringen) und mir wurde ein Abendessen, bestehend aus Pap (Maisbrei) und Hühnchen in einer gewürzten Soße gebracht, das die ältere Tochter, die auch schon ein zweijähriges Kind hat, zubereitete. Natürlich bekam ich als Gast die größte Portion, obwohl ich mich dagegen wehrte. Aus der Stadt hatte ich einen Laib Brot mitgebracht, den ich unter meinen Gastgebern verteilte. Plötzlich waren die Kinder nur noch an dem Brot interessiert und ließen den altbekannten Maisbrei liegen. So hatte ich mir das eigentlich nicht gedacht, aber naja. Mit dem Vater und seiner Schwester konnte ich mich auf Englisch austauschen, über mein Leben auf dem College, über ihr Leben als kleine Landfamilie, die sich mit immer neuen Ideen finanziell über Wasser halten muss und natürlich waren die beiden auch ganz neugierig wie es bei mir zu Hause aussieht, wie groß meine Familie ist, was meine Eltern machen und so weiter. Der Rest der Familie schaute fern, schwarz-weiß, was aber nur an einer Dauerstörung des Empfangs lag. Die Kinder schliefen nach einer Stunde ein und wurden von ihren Eltern ins Bett getragen und ich durfte nach einem Besuch den Plumpsklos 50m vom Haus entfernt in dem Rundhaus des Vaters auf einer Matratze eine ruhige Nacht genießen, bis morgens um 5 Uhr. Dann nämlich fängt bekannterweise der Hahn an zu krähen und meine Familie hatte gleich zwei oder drei, die auch noch die zwei Hunde aufweckten und schon war da ein Höllenlärm draußen, der aber nicht zu lange andauerte. Der nächste Tag begann mit Wasserschleppen. Der Familienvater hatte vor einigen Monaten angefangen ein neues kleines Haus zu bauen und der Boden sollte mit Wasser begossen und dann mit einem Stampfer per Hand glattgestampft werden. Die Wasserstelle war glücklicherweise nur 100 m weit entfernt, aber 20l-Kanister sind trotzdem ganz schön schwer. Am ersten Tag half ich beim Hausbau, Erdnüsse schälen und spielte mit den Kindern, die nun keine Angst mehr hatten und mir ihre selbstgebauten Drahtautos und die verschiedenen Tiere zeigen wollten. Einige Facts die ich während meinem Aufenthalt dort gelernt habe:

62 % aller Swasis verdienen weniger als 2$ pro Tag aber viele Familien dort ernähren sich von ihren eigenen Erzeugnissen und verdienen fast kein Geld, ein trauriges Leben muss das absolut nicht sein. Wir haben das ganze Wochenende gut von den Vorräten gelebt, die die Familie nach den Ernten anlegte.

Der soziale Zusammenhalt in der Dorfgemeinschaft ist sehr stark und es wird sich geholfen, wo Hilfe benötigt wird. Wenn eine Familie eine Kuh schlachtet wird oft die ganze Nachbarschaft für ein Festessen eingeladen.

Kreative Bewohner der rural areas denken sich immer wieder neue Einkommensquellen aus und haben ohnehin schon eine breite Palette an kleinen Quellen wie z.B Fruchtbäume, Kunsthandwerk, Maisfelder, Hühner, eine Pilzhütte, in der essbare Pilze wachsen, Erdnusspflanzen, Gewürzgarten, Heilpflanzen, Kühe, Ziegen.

Das Geld wird dann oft in die Bildung der Kinder investiert, da die Eltern in die Zukunft investieren wollen. Gut verdienende Kinder sind auch ihre eigene “Rentenversicherung”. In meiner Familie gingen zwei Kinder und der jüngerer Bruder des Familienvaters in die nahegelegene Schule.

Saubere Kleidung ist sehr wichtig und wir gingen zusammen zum Fluss um dort zu waschen. Das ist hier nicht nur ein Frauenjob!

Ein weißer Besucher, im besonderen wenn dieser eine Schubkarre schiebt, während der Gastgeber neben ihm geht, war dort anscheinend eine absolute Rarität und wurde mit viel Gelächter und Zurufen von den anderen Dorfbewohnern kommentiert.

Kleinkinder von 1.5 Jahren werden hier unbeaufsichtigt auf dem Hof sich selbst überlassen, wodurch sie aber erstaunlich schnell lernen und wohl jedes deutsche Kind in Geschicklichkeit und Selbständigkeit in den Schatten stellen würden. z.B Unser kleiner war fähig mit einem Stein durch Klopfen geschickt einen Draht zurechtzubiegen, ohne sich die Finger zu verletzen und das mit anderthalb Jahren.

Der König ist hoch angesehen unter den Bewohnern, da er die Swasikultur personifiziert und Swasiland zu etwas besonderem macht.

Die Kinder waren total aus dem Häuschen als ich meine Digitalkamera herausholte. So etwas hatten sie selbst noch nie in der Hand und so wurde alles photographiert. Der Hund, die Ziege, das Haus, der Himmel, die Nachbarskinder, ich usw.

Einige der Bilder sind hier auf diesem Blog zu finden unter “Swasifamilie”.

Auf jeden Fall war dieses Wochenende ein sehr bereichernde Erfahrung und ich habe nun eine Vorstellung davon, wie ein Leben außerhalb des Colleges aussieht. Ich war überwältigt von der Gastfreundschaft, die mir gezeigt wurde. Es wurde sich entschuldigt, wenn das Essen etwas spät kam, ich wurde oft gefragt, ob ich Tee wolle und die Großmutter zeigte mir am zweiten Tag wie man einen Handbesen herstellt. Den werde ich nun in zwei tagen mit nach Hause nehmen.

Was war sonst noch so los:

Wir organisierten letzten Sonntag einen European-Evening. Ich half beim Kochen aus und machte einen Apfelkuchen, sowie 6 Laibe deutsches Sauerteigbrot, das mir aber leider zeitlich nicht mehr gelang. Der Steinofen, den ich verwenden wollte war anfangs viel zu heiß, sodass mir das Brot außen leicht verbrannte und der Schulofen brauchte zu lange. Ich schob das Brot dann am nächsten Tag nochmals in den Ofen und verteilte es im Gemeinschaftsraum, worauf ich spaßeshalber zwei Heiratsanträge bekam.
Der europäische Nachmittag war sonst aber ein wirklich schönes Ereignis mit leckerem Essen, vielen Performances und 10 Tischen, dekoriert mit Gegenständen und Flaggen aus je einem europäischen Land. Den Lehrern und Schülern, die kamen hat es sehr gefallen.

So und nun schreibe ich die letzen Zeilen dieses Eintrags wenige Stunden vor meiner Abreise von Waterford. Ich habe einen kleinen Berg an Hausaufgaben über die von meinen Lehrern bekommen, aber das werde ich schon schaffen. Der Zeitartikel wurde diese Woche ja leider noch nicht herausgegeben, vielleicht nächste Woche ;)
Liebe Grüße aus dem bitterkalten Swasiland (in Johannesburg hat es vor einigen Tagen geschneit!!!),

Juli