Montag, 14. Januar 2013

Report nach einem UWC-Jahr


Hallo ihr Lieben,

Heute Abend fliege ich wieder zurück nach Swasiland und bin schon von Vorfreude erfüllt. 
Da ich schon länger nichts mehr geschrieben habe, könnt ihr nun meinen Report lesen, den ich für meine Sponsorinnen und meine Familie verfasst habe. Darin reflektiere ich noch einmal das bisher Erlebte und erzähle auch ein bisschen von meiner Reise nach Simbabwe, deren Bilder ihr schon unter "Fotos Simbabwe" finden könnt.

Report nach einem UWC-Jahr am Waterford Kamhlaba UWCSA
Julian Storch – 2012/2013


Noch vor zweieinhalb Jahren war UWC mir genauso unbekannt wie es fast allen fremden Menschen ist, die mich nach meiner Vorstellung verdutzt fragen: “Warum Swasiland?” Oft höre ich Vorurteile mitschwingen in diesen Äußerungen. Die Vorstellung einer internationalen Schule mit Ausbildung auf Weltniveau passt nicht wirklich in das Bild das viele Europäer von Afrika haben. Fast immer schaffe ich es jedoch, sie von dem Konzept UWC zu überzeugen. Im nachfolgenden Report werde ich kleine und große Ideen, Anekdoten aus meinem Schulleben und rückblickende Erkenntnisse erzählen, die euch einen kleinen Eindruck davon geben, wie UWC mich im ersten Jahr verändert hat.

Wo alles begann

Ein Artikel, ausgeschnitten aus seiner Schleswig-Holsteiner Regionalzeitung änderte damals mein Leben. Dafür bin ich und werde ich wohl auch für immer dankbar sein.  Begeistert las ich Erlebnisberichte, die Websites aller Colleges und die Blogs aller deutschen UWC-Schüler. Das war es wonach ich mich schon seit vielen Jahren gesehnt hatte. Eine Schule die nicht nur trockene Theorie lehrt, sondern viel mehr, die Gleichgesinnte beherbergt, welche den Schulstoff nicht als Qual ansehen und von ihren Eltern zum Lernen gezwungen werden müssen, sondern das Lernen genießen. Schon hier zu Hause hatte ich mich nach mehr Selbständigkeit gesehnt, nach mehr eigenen Kontrolle über mein Leben. Der Traum, mit einem Stipendium für ein Jahr nach Amerika in eine Gastfamilie gehen zu können scheiterte zwei mal im letzten Auswahlgremium. Ich wollte raus aus Deutschland und endlich diese Orte besuchen die ich nur aus Dokumentationen und Zeitungsartikeln kannte. Bin ich froh, dass ich nicht für das Amerikastipendium ausgewählt wurde J

Mitten im Strudel aller Kulturen

Es ist nicht leicht, genau zu benennen, wie sich meine Persönlichkeit, mein Charakter verändert hat, aber ich merke, dass dieses eine Jahr mich geformt hat. Wenn ich mir alle Kulturen, Religionen und Weltvorstellungen wie das Wasser eines Flusses vorstelle, das die Persönlichkeiten aller Menschen in unterschiedlicher Weise formt wie Kieselsteine im Flussbett, so wurde ich im letzten Jahr vom fernen Ufer an dem ich als Beobachter die anderen Kulturen nur durch das Auge deutscher Medien wahrnahm mitten hineingeschleudert in das tosende Wirrwarr. Ich denke, ich kann mich glücklich schätzen, dass ich den Weg nach Swasiland fand, wo sich meine Sicht auf die Welt so sehr von den Weltanschauungen ganz vieler Mitschüler deutlich unterschied. Plötzlich wurden viele europäische Wertvorstellungen in Frage gestellt. Ich diskutiere mit Freunden, die westliche Entwicklungshilfe scharf verurteilen, die Europa schon für wirtschaftlich zerstört sehen und mir erklären, warum nun die Zeit Afrikas komme, die Homosexualität für reine Provokation halten und deren Hauptmotivation für die Verbesserung der Welt die Vorstellung ist, dann nicht in der Hölle leiden zu müssen sondern direkt in den Himmel zu kommen. Trotz dieser enormen Unterschiede gehören viele dieser Mitschüler zu meinen besten Freunden und das ist es ja, was UWC uns vermitteln kann. Kulturen und Religionen können sich noch so sehr voneinander unterscheiden - Frieden zwischen den Völkern ist möglich, wenn wir uns endlich gegenseitig als gleichwertige Menschen respektieren und bereit sind, voneinander zu lernen.
Freunde, die dich wirklich kennen

Ich habe Freunde gewonnen in Waterford, Freunde, die mich wirklich kennen.
Freunde...
...für die ich keine Rolle spielen muss
...die sofort merken, wenn es mir nicht gut geht
...die Freunde blieben, auch wenn ich sie tief enttäuscht habe
...die an meiner Schulter ihren Liebesfrust ausweinen können
...die ich auch um 4 Uhr nachts aufwecken kann, wenn ich sie brauche
...denen ich mein Leben anvertrauen würde
...mit denen ich Traditionen pflege
...die ich nach zwei Wochen jetzt schon vermisse

Freunde fürs Leben


Was für eine Gemeinschaft

Schon nach wenigen Wochen am College sprach mich der Basketballtrainer an. Durch meine Größe war er auf mich aufmerksam geworden und wollte mich für das Schulteam anwerben. Ich war etwas skeptisch, da Basketball ziemliches Neuland für mich war und ich schon sehr schlechte Erfahrungen mit einem Fußballteam gemacht hatte, in dem ich als Neuling nicht akzeptiert wurde. Das Team in Waterford jedoch nahm mich sofort auf und half mir beim Training so gut sie konnten. Einige Spieler blieben mit mir länger in der Halle um mir Einzeltraining zu geben. Ich fühlte mich von Anfang an voll respektiert und nach kleinen Erfolgen während dem Training bekam ich immer Lob von vielen Mitspielern. Nun bin ich gut im Team integriert und genieße Basketball als eine meiner Hauptaktivitäten.
Auch im Alltag begegnen sich Schüler auf einem mir vorher unbekannten Level aus absolutem Respekt und kreieren damit eine Atmosphäre, die mir auf meiner alten Schule gefehlt hat. Es gibt kein Mobbing, keine lauten Konflikte und jede Stimme wird gehört. Natürlich ist die Waterford-Gesellschaft nicht perfekt aber sehr nahe dran.

Was für eine Challenge

Bevor ich nach Waterford kam zählte ich Organisationstalent nicht gerade zu meinen größten Stärken. Es machte mir nichts aus vor großen Gruppen zu reden, aber ich traute mir einfach nicht zu, den Überblick zu behalten, wenn alles drunter und drüber ging. Aber dann kam die In-House-Leavers Feier, ein Fest für beide IB Jahrgänge und die Lehrer (250 Leute), organisiert durch die IB1s. Ich trug mich in die Liste des Koch-Komitees ein und wurde dann als Vorsitzender vorgeschlagen und ernannt. Unsere Aufgabe war es, für alle Gäste ein Menü zusammenzustellen, alle Zutaten einzukaufen, zu kochen und zu servieren. Das meiste der Vorarbeit blieb an mir hängen. Ich befragte IB2s nach ihren Essenswünschen, teilte Gruppen für die verschiedenen Gänge ein und fuhr etliche Male in die Stadt um alles zu besorgen, was mit einem sehr limitierten Budget nicht leicht war. Am Tag der Feier, hatte ich sehr viele Mitschüler auf meiner Seite, die alle tatkräftig mithelfen wollten, mich aber natürlich pausenlos nach Aufträgen fragten. Am Ende war ich sehr froh, dass wir früh morgens angefangen hatten und rechtzeitig servieren konnten. Es wurde eine wunderbare Veranstaltung und jeder war sehr zufrieden – auch mit dem Essen. Dank dieses Erfolges wurde ich nun neben sechs weiteren Schülern für ein Organisationsteam ausgewählt, das den 50. Geburtstag des Colleges im nächsten Jahr organisieren soll, samt dem Besuch des Königs und mit etwa 1500 Teilnehmern. Das sind die Erfahrungen die mich formen, die mir meine Stärken und Schwächen zeigen können und auf die ich mich jetzt schon freue.

Deadlines über Deadlines

Warum heißt es eigentlich Deadline? Suggeriert der Name, dass Schüler, nachdem sie die Arbeit nach nächtelanger Konzentration endlich abgegeben haben, wie tot ins Bett fallen? Das könnte man in Waterford meinen, wenn man Mitschüler selbst in einer nur 40 minütigen Freistunde schlafend vorfindet. IB macht uns zu schaffen. Daran gibt es keinen Zweifel. Da unsere IB2s in ihrem letzten Jahr unmenschlich viele Arbeiten schreiben mussten, entschieden sich die Lehrer für uns das zweite Jahr zu erleichtern, in dem sie vieles nach vorne verschoben. In unserem dritten Term waren wir dadurch sehr beschäftigt. Aber insgesamt genieße ich das IB und die Herausforderungen, die es birgt. Ich habe das Gefühl, dass es mich viel besser auf die Lernatmosphäre an den Universitäten vorbereitet als das deutsche Abitur. Ohne Eigenverantwortung und gutem Zeitmanagement kommt man nicht weit. Andererseits gibt es Wochen in denen das IB fast kein UWC mehr übrig lässt, da jeder nur noch in seinem Zimmer sitzt und auch die Gespräche sich nur um Schule drehen. Diese Wochen werden wohl einen Großteil des nächsten Jahres füllen, fürchte ich. Aber da muss ich durch und ich bin fest entschlossen am Ende mein Bestes zu geben.

Vom Reisen

Reisen mit Freunden ist eine wunderbare Erfahrung. Reisen mit Freunden in Afrika ist noch besser. Das Beste jedoch ist eine Reise mit einer Gruppe von UWC-Freunden in Afrika, die der Welt so neugierig gegenüberstehen und das Land oder die Stadt nicht nur wie normale Touristen erleben wollen. Meist wird vorher nicht viel geplant, was dann zu Unvergesslichem führen kann. Ich war mit Freunden bereits in Mosambik, Kapstadt, Namibia und nun vor einigen Tagen in Simbabwe. Die zweiwöchige Reise nach Simbabwe war die wohl eindrucksvollste von allen.

Mit einer Französin und einer Norwegerin, die auch in meinem Jahrgang sind fuhr ich mit einem Bus von Johannesburg nach Masvingo, einer kleinen Stadt nahe den alten Ruinen von Great Zimbabwe (Bedeutung: Großes Haus aus Stein), die dem Land übrigens auch seinen Namen gaben. Es war schon fast dunkel als wir ankamen, da der Bus auf halber Strecke eine Panne gehabt hatte und ein neuer Bus geschickt werden musste. Das Backpackers war ausgebucht und wir wussten nicht so wirklich, wo wir die Nacht verweilen sollten. Während die beiden Mädchen Essen einkauften, passte ich auf unser Gepäck auf. Neben mir parkte ein Auto, dessen Fahrer sitzen blieb, so lange seine Frau ihre Einkäufe machte. Wir unterhielten uns und stellten fest, dass sein Vorname mit meinem zweiten Namen übereinstimmte: Emanuel. Dann erzählte ich ihm, dass wir drei Schüler aus Swasiland seien und wir erst vor wenigen Minuten in seiner Stadt angekommen wären. Er erwiderte, dass seine Schwiegermutter auch aus Swasiland komme und hier in der Stadt ein Haus hätte mit ihrem Sohn Tafara. Emanuel rief dann letztendlich seine Schwiegermutter an und fragte, ob sie bereit sei, drei „Mitbürger“ in ihrem Haus für eine Nacht aufzunehmen. Sie stimmte zu, wir wurden zu ihrem Heim gefahren und ganz lieb begrüßt. Wir bekamen zwei Gästezimmer und am Morgen bereiteten wir zusammen ein wunderbares Frühstück vor -  Tafara hat ein eigenes Catering-Unternehmen. Da es Sonntag war, wurden wir auch noch in die Kirche eingeladen und dort von vielen Mitgliedern neugierig befragt. Tafara organisierte uns dann Transport zu Great Zimbabwe und begleitete uns sogar. Er war ganz traurig, dass wir ihn verließen. Wir hätten etwas Abwechslung in das Haus gebracht, über die er ganz froh war.
Ohne unsere UWC-Erfahrung wäre diese Freundschaft wohl nie zu Stande gekommen. Voll von Vorurteilen und Misstrauen, geprägt durch das europäische Bild von Afrika wären wir wahrscheinlich nie mit einem fremden Afrikaner mitgefahren oder ich hätte das Gespräch gar nicht erst angefangen. Somit ist dies ein Beispiel dafür, dass UWC auch außerhalb des Colleges zur Völkerverständigung und Austausch zwischen den Kulturen beitragen kann. Ich werde die Gastfreundlichkeit dieser Familie nie vergessen genau so, wie sie wohl immer wieder an uns zurückdenken werden. Sie haben unsere Sichtweise auf Bürger in Simbabwe zum besseren verändert. Simbabwe wird von uns allen von nun an als sehr gastfreundlich angesehen. Als ich dies Tafara sagte, strahlten seine Augen und er umarmte mich.  Als wir abreisten erzählte uns Tafara, dass das doch sehr traurig sei, da sein Onkel uns so gerne noch zum Fischen mitgenommen hätte.
Wir hatten während unser Reise noch so einige Begegnungen dieser Art: Ein junger Mann aus Soweto, der uns vor einem Überfall rettete, ein Unternehmer mit Rastalocken, der uns nachts ganz nah an die Victoria Fälle führte, Ein Künstler, der in unserem Backpackers mitgehört hatte, dass wir zum Bahnhof müssen und dann sofort vorschlug uns zu fahren und der Chef eines Rafting Unternehmens, der unser geringes Reisebudget verstand und uns eine Rafting tour für den halben Preis verkaufte, die auch noch von ihm geleitet wurde. Das ist es, was Reisen in Afrika von Deutschland unterscheidet. Die meisten sind Fremden gegenüber sehr aufgeschlossen und viele wollen helfen. Sie sind stolz, Fremden ihr Land oder ihre Stadt zeigen zu dürfen.
Es gibt noch viel zu entdecken – nächstes Jahr.

Liebe Grüße,

Julian