Ihr
Lieben,
so
hier bin ich wieder zurück in meinem kleinen Raum, mitten im
Schulalltag und gut angekommen in meinem zweiten zu Hause Waterford.
Es war eine gute Entscheidung, die ersten Ferien in Afrika zu
verbringen und nicht nach Hause zu fahren, wie etwa 90 Prozent aller
westlichen Schüler. Wenn ich so zurückdenke an diese vier Wochen in
Kapstadt und Namibia wandern verschiedene Erinnerungen durch mein
Langzeitgedächtnis: Die wunderbar belebte “Longstreet” im
Zentrum Cape Town mit unzähligen Kaffees, Kneipen, Clubs,
Antiquitätenläden, Kunstausstellungen und kleinen improvisierten
Ständen neben dem Gehsteig, an denen grinsende Verkäuferinnen
Süßigkeiten, Obst oder Blumen verkaufen. Die vielen Bettler, die
auf Touristen wie mich zukommen, um mit ihnen ein persönliches
Gespräch anzufangen im Verlauf dessen sie mir von ihrem
verhungernden Baby erzählen, das ohne Windeln zu Hause im Dreck
liegt, wohl wissend, dass Babynahrung und Windeln das wahrscheinlich
teuerste Gut im Supermarkt sind. “I don’t want money! Please,
please buy some food for my baby in the store over there!”. Es ist
schwer abzulehnen und ich fühle mich schlecht, auch da ich weiß,
wie teuer das Leben mittlerweile geworden ist, aber Spenden an
Bettler bieten keine nachhaltige Lebensverbesserung. Es gibt in
Kapstadt viele Organisationen, die angestrengt versuchen diesen
Menschen Arbeit zu verschaffen. Diese Organisationen sollte man
finanziell unterstützen um wirklich etwas zu bewirken und vielleicht
hilft das auch deinem schlechten Gefühl wenn der nächste
abgewiesene Bettler dich lauthals und wild gestikulierend als
egoistisch und unsozial beschimpft, wie es mir in Kapstadt einige
Male passiert ist. Der herrlich vielfältige botanische Garten von
Kirstenbosch, in dem nur afrikanische Pflanzen wachsen und der direkt
am Fuß des berühmten Tafelbergs liegt. Dort wanderten wir durch
einen Geruchsgarten mit den erstaunlichsten Düften, die man den
unscheinbaren Pflanzen gar nicht zugetraut hätte, sahen die größte
Palmenart der Welt, deren Blätter über 15 Meter lang werden können
und die erst nach ca. 30 Jahren das erste mal Blüten trägt,
bewunderten die Riesenspinnen im “Märchenwald-Trail” und
bestiegen über eine recht herausfordernde Route über Leitern und
durch einen Bach erfolgreich den Tafelberg. Die Aussicht war
wunderbar! Die süßen Pinguine in Simons Town wandern durch meinen
Kopf ebenso, wie auch das Gefängnis auf Robben Island, in dem Nelson
Mandela für 26 Jahre inhaftiert war, bevor er Präsident Südafrikas
wurde. Ich fühlte mich leicht an den Besuch in dem
Konzentrationslager in Dachau erinnert, auch wenn das Ausmaß der
Gräueltaten in Deutschland natürlich noch viel weiter ging. Auch
hier auf Robben Island verlor jeder Inhaftierte durch das Betreten
des Gefängnisses seinen Namen und bekam eine Nummer. Asiaten bekamen
mehr zu Essen als Farbige, die wiederum mehr bekamen als schwarze
Häftlinge. Zeitweise gab es nicht genug Betten, sodass auf dem Boden
geschlafen werden musste. Es gab Folterzimmer, in denen mit
Elektroschocks und anderen Methoden versucht wurde Geständnisse zu
erpressen, jeder Brief an die Häftlinge wurde gelesen und alles
Politische wurde herausgeschnitten. Der ehemalige Häftling, der uns
durch das Gefängnis führte, sagte, dass einige Briefe danach etwa
so aussahen:
Dear
Nelson,
You
can`t believe what happened here the last weeks:
and
Therefore
we
We
love and miss you!
Your
Father
Das
habe ich mir jetzt zwar ausgedacht, aber es muss sehr
niederschmetternd für die Gefangenen gewesen zu sein, einen fast
leeren Brief zu bekommen, der einem eigentlich so viel über die
politischen Entwicklungen erzählen könnte, die jahrelang Inhalt
ihres Lebens gewesen waren. Auch heute Leben noch ehemalige Häftlinge
auf der Insel und führen Touristen durch die Gebäude, was ich sehr
bewundernswert finde.
Was
habe ich sonst noch so erlebt. Eine ganze Menge. Ich habe zum ersten
mal in meinem Leben Surfen ausprobiert, sowie auch das Netzwerk
connectuwc.org. Dort suchte ich nach einer billigen Bleibe in
Kapstadt und fand Aysha, die vor drei Jahren auf dem UWC in Indien
abschloss, jetzt in Cape Town studiert und bei ihrer Mutter wohnt.
Jakob und ich durften für 5 Tage in ihrem Haus verbringen und
herrliches Essen, freien Transport und ein eigenes Zimmer in
3***-Hotel-Standard genießen. Drei Tage blieb ich dann noch ein
Roderiks Haus, einem Freund aus Waterford. Er wohnt direkt am Meer
und ist ein begnadeter Surfer. Seine Eltern arbeiten in der
Entwicklungshilfe, momentan in Südsudan, ein von unzähligen
Konflikten geprägtes Land. Die Mutter erzählte mir, dass sie
regelmäßig einer langen schmalen Landstraße folgen musste, um zur
Arbeit zu gelangen. Wochen später erfuhr sie dann, dass links und
rechts direkt neben der Straße tausende alte Landminen liegen. Hätte
sie etwas zu Hause vergessen und das Auto neben der Straße gewendet,
hätte dies leicht tödlich enden können. Nach 19 Tagen in Kapstadt
ging es mit dem Bus über 20 Stunden nach Windhoek, der Hauptstadt
Namibias. Dort blieb ich für weitere zehn Tage bei meinem Freund
Rohaan, der uns auch mit auf einen Trip nach Swakopmund nahm, einer
Stadt, in der man vom deutschen Kolonialismus in Namibia immer noch
sehr viel spürt. Ein großer Teil der Bevölkerung spricht Deutsch,
es gibt überall deutsche Architektur, Bäckereien, Brauereien,
Kriegsdenkmäler und deutschen Karneval. Hier bekam ich schon wieder
die Vorteile der weltweiten UWC-Gemeinschaft zu spüren. Ein
zukünftiger UWC-Schüler für Singapur, der in Swakopmund lebt, fuhr
uns durch die Namibwüste, zeigte und erklärte uns Tiere, Pflanzen
und Landschaftsformen und gab sich die größte Mühe uns einen
unvergesslichen Tag zu schenken, der mit Quad-Biken in den Dünen der
Namibwüste begann.
Nach
diesen wunderbaren Reiseerfahrungen habe ich mich jetzt entschieden
meine dritten Ferien höchst wahrscheinlich wieder hier in Afrika zu
verbringen und die nördlichen Länder Southern Africas zu erkunden,
die da wären: Simbabwe, Botsuana, Mosambik, Sambia... ich weiß noch
nicht, wie weit ich kommen werde!
Zurück
in Waterford wurde ich von allen herzlich empfangen und ich fühlte
mich richtig wohl und an meinem richtigen Platz. Außerdem erwartete
uns am ersten Wochenende “Bushfire” eines der wenigen großen
Events in Swasiland.
Wir
fuhren schon am Freitag auf das Festivalgelände und stellten unser
Zelt auf, um dann direkt die verschiedenen Bühnen, Essens- und
Kunststände und das Programm zu besichtigen. Jedes Jahr erwartet
Swasiland etwa 20 000 Besucher, hauptsächlich aus Southern Africa.
Da fast alle Waterfordschüler anwesend waren, konnten wir als
Gemeinschaft feiern und hatten zwei wunderbare Nächte voller Musik,
Tanz und leckerem Essen. Natürlich traf ich Deutsche, die wohl in
keinem Land der Welt und insbesondere auf keinem Festival fehlen. Ich
ließ meine Kamera zu Hause, da Campen in Afrika gewisse Risiken für
Wertgegenstände bietet. Vielleicht gibt es später Bilder von
anderen Schülern hier zu sehen. Die beste Performance, meiner
Meinung nach, kam von Ayo, einer deutsch-nigerianischen Sängerin,
die zeitweise hundert Meter von der Bühne entfernt in mitten aller
Zuschauer über Funkmikrophon ihre Stücke sang, während ich nur
einen Meter entfernt ihre natürlich Stimme genießen durfte.
Dieses
Wochenende wird es für mich zu einem freiwilligen Commserve
außerhalb der Schule gehen. In einer Art Dauer-Flüchtlingslager,
werden wir den Kindern etwas Ablenkung, Essen und Spielzeug bringen.
Berichte und Fotos folgen.
Wenn
jemand aus meiner Heimat nach meinem Wohlergehen fragt, könnt ihr
ihm gerne diesen Blog nennen. Ich denke, man findet mich, wenn man
“juliinswasiland” googelt.
Bald
werden wir erfahren, wer unser neuer Schuldirektor wird. Bei einem
der Interviews war ich mit dabei und ich denke wir werden auf jeden
Fall eine herausragende Persönlichkeit einstellen. Für die, die es
noch nicht wissen: Unser momentaner Schuldirektor Mr. Nodder wird das
College Ende des Jahres verlassen um das UWC in Deutschland 2014 als
Direktor zu führen.
Grüßt
mal alle schön und sagt, dass es mir gut geht. Trotzdem freue ich
mich auf meine Familie und Freunde in 76 Tagen.
Julian