Mittwoch, 30. Mai 2012

Reisikanische Erlebnisse



Ihr Lieben,

so hier bin ich wieder zurück in meinem kleinen Raum, mitten im Schulalltag und gut angekommen in meinem zweiten zu Hause Waterford. Es war eine gute Entscheidung, die ersten Ferien in Afrika zu verbringen und nicht nach Hause zu fahren, wie etwa 90 Prozent aller westlichen Schüler. Wenn ich so zurückdenke an diese vier Wochen in Kapstadt und Namibia wandern verschiedene Erinnerungen durch mein Langzeitgedächtnis: Die wunderbar belebte “Longstreet” im Zentrum Cape Town mit unzähligen Kaffees, Kneipen, Clubs, Antiquitätenläden, Kunstausstellungen und kleinen improvisierten Ständen neben dem Gehsteig, an denen grinsende Verkäuferinnen Süßigkeiten, Obst oder Blumen verkaufen. Die vielen Bettler, die auf Touristen wie mich zukommen, um mit ihnen ein persönliches Gespräch anzufangen im Verlauf dessen sie mir von ihrem verhungernden Baby erzählen, das ohne Windeln zu Hause im Dreck liegt, wohl wissend, dass Babynahrung und Windeln das wahrscheinlich teuerste Gut im Supermarkt sind. “I don’t want money! Please, please buy some food for my baby in the store over there!”. Es ist schwer abzulehnen und ich fühle mich schlecht, auch da ich weiß, wie teuer das Leben mittlerweile geworden ist, aber Spenden an Bettler bieten keine nachhaltige Lebensverbesserung. Es gibt in Kapstadt viele Organisationen, die angestrengt versuchen diesen Menschen Arbeit zu verschaffen. Diese Organisationen sollte man finanziell unterstützen um wirklich etwas zu bewirken und vielleicht hilft das auch deinem schlechten Gefühl wenn der nächste abgewiesene Bettler dich lauthals und wild gestikulierend als egoistisch und unsozial beschimpft, wie es mir in Kapstadt einige Male passiert ist. Der herrlich vielfältige botanische Garten von Kirstenbosch, in dem nur afrikanische Pflanzen wachsen und der direkt am Fuß des berühmten Tafelbergs liegt. Dort wanderten wir durch einen Geruchsgarten mit den erstaunlichsten Düften, die man den unscheinbaren Pflanzen gar nicht zugetraut hätte, sahen die größte Palmenart der Welt, deren Blätter über 15 Meter lang werden können und die erst nach ca. 30 Jahren das erste mal Blüten trägt, bewunderten die Riesenspinnen im “Märchenwald-Trail” und bestiegen über eine recht herausfordernde Route über Leitern und durch einen Bach erfolgreich den Tafelberg. Die Aussicht war wunderbar! Die süßen Pinguine in Simons Town wandern durch meinen Kopf ebenso, wie auch das Gefängnis auf Robben Island, in dem Nelson Mandela für 26 Jahre inhaftiert war, bevor er Präsident Südafrikas wurde. Ich fühlte mich leicht an den Besuch in dem Konzentrationslager in Dachau erinnert, auch wenn das Ausmaß der Gräueltaten in Deutschland natürlich noch viel weiter ging. Auch hier auf Robben Island verlor jeder Inhaftierte durch das Betreten des Gefängnisses seinen Namen und bekam eine Nummer. Asiaten bekamen mehr zu Essen als Farbige, die wiederum mehr bekamen als schwarze Häftlinge. Zeitweise gab es nicht genug Betten, sodass auf dem Boden geschlafen werden musste. Es gab Folterzimmer, in denen mit Elektroschocks und anderen Methoden versucht wurde Geständnisse zu erpressen, jeder Brief an die Häftlinge wurde gelesen und alles Politische wurde herausgeschnitten. Der ehemalige Häftling, der uns durch das Gefängnis führte, sagte, dass einige Briefe danach etwa so aussahen:

Dear Nelson,
You can`t believe what happened here the last weeks:



            and

                                   Therefore we




We love and miss you!

Your Father

Das habe ich mir jetzt zwar ausgedacht, aber es muss sehr niederschmetternd für die Gefangenen gewesen zu sein, einen fast leeren Brief zu bekommen, der einem eigentlich so viel über die politischen Entwicklungen erzählen könnte, die jahrelang Inhalt ihres Lebens gewesen waren. Auch heute Leben noch ehemalige Häftlinge auf der Insel und führen Touristen durch die Gebäude, was ich sehr bewundernswert finde.
Was habe ich sonst noch so erlebt. Eine ganze Menge. Ich habe zum ersten mal in meinem Leben Surfen ausprobiert, sowie auch das Netzwerk connectuwc.org. Dort suchte ich nach einer billigen Bleibe in Kapstadt und fand Aysha, die vor drei Jahren auf dem UWC in Indien abschloss, jetzt in Cape Town studiert und bei ihrer Mutter wohnt. Jakob und ich durften für 5 Tage in ihrem Haus verbringen und herrliches Essen, freien Transport und ein eigenes Zimmer in 3***-Hotel-Standard genießen. Drei Tage blieb ich dann noch ein Roderiks Haus, einem Freund aus Waterford. Er wohnt direkt am Meer und ist ein begnadeter Surfer. Seine Eltern arbeiten in der Entwicklungshilfe, momentan in Südsudan, ein von unzähligen Konflikten geprägtes Land. Die Mutter erzählte mir, dass sie regelmäßig einer langen schmalen Landstraße folgen musste, um zur Arbeit zu gelangen. Wochen später erfuhr sie dann, dass links und rechts direkt neben der Straße tausende alte Landminen liegen. Hätte sie etwas zu Hause vergessen und das Auto neben der Straße gewendet, hätte dies leicht tödlich enden können. Nach 19 Tagen in Kapstadt ging es mit dem Bus über 20 Stunden nach Windhoek, der Hauptstadt Namibias. Dort blieb ich für weitere zehn Tage bei meinem Freund Rohaan, der uns auch mit auf einen Trip nach Swakopmund nahm, einer Stadt, in der man vom deutschen Kolonialismus in Namibia immer noch sehr viel spürt. Ein großer Teil der Bevölkerung spricht Deutsch, es gibt überall deutsche Architektur, Bäckereien, Brauereien, Kriegsdenkmäler und deutschen Karneval. Hier bekam ich schon wieder die Vorteile der weltweiten UWC-Gemeinschaft zu spüren. Ein zukünftiger UWC-Schüler für Singapur, der in Swakopmund lebt, fuhr uns durch die Namibwüste, zeigte und erklärte uns Tiere, Pflanzen und Landschaftsformen und gab sich die größte Mühe uns einen unvergesslichen Tag zu schenken, der mit Quad-Biken in den Dünen der Namibwüste begann.
Nach diesen wunderbaren Reiseerfahrungen habe ich mich jetzt entschieden meine dritten Ferien höchst wahrscheinlich wieder hier in Afrika zu verbringen und die nördlichen Länder Southern Africas zu erkunden, die da wären: Simbabwe, Botsuana, Mosambik, Sambia... ich weiß noch nicht, wie weit ich kommen werde!

Zurück in Waterford wurde ich von allen herzlich empfangen und ich fühlte mich richtig wohl und an meinem richtigen Platz. Außerdem erwartete uns am ersten Wochenende “Bushfire” eines der wenigen großen Events in Swasiland.
Wir fuhren schon am Freitag auf das Festivalgelände und stellten unser Zelt auf, um dann direkt die verschiedenen Bühnen, Essens- und Kunststände und das Programm zu besichtigen. Jedes Jahr erwartet Swasiland etwa 20 000 Besucher, hauptsächlich aus Southern Africa. Da fast alle Waterfordschüler anwesend waren, konnten wir als Gemeinschaft feiern und hatten zwei wunderbare Nächte voller Musik, Tanz und leckerem Essen. Natürlich traf ich Deutsche, die wohl in keinem Land der Welt und insbesondere auf keinem Festival fehlen. Ich ließ meine Kamera zu Hause, da Campen in Afrika gewisse Risiken für Wertgegenstände bietet. Vielleicht gibt es später Bilder von anderen Schülern hier zu sehen. Die beste Performance, meiner Meinung nach, kam von Ayo, einer deutsch-nigerianischen Sängerin, die zeitweise hundert Meter von der Bühne entfernt in mitten aller Zuschauer über Funkmikrophon ihre Stücke sang, während ich nur einen Meter entfernt ihre natürlich Stimme genießen durfte.

Dieses Wochenende wird es für mich zu einem freiwilligen Commserve außerhalb der Schule gehen. In einer Art Dauer-Flüchtlingslager, werden wir den Kindern etwas Ablenkung, Essen und Spielzeug bringen. Berichte und Fotos folgen.

Wenn jemand aus meiner Heimat nach meinem Wohlergehen fragt, könnt ihr ihm gerne diesen Blog nennen. Ich denke, man findet mich, wenn man “juliinswasiland” googelt.


Bald werden wir erfahren, wer unser neuer Schuldirektor wird. Bei einem der Interviews war ich mit dabei und ich denke wir werden auf jeden Fall eine herausragende Persönlichkeit einstellen. Für die, die es noch nicht wissen: Unser momentaner Schuldirektor Mr. Nodder wird das College Ende des Jahres verlassen um das UWC in Deutschland 2014 als Direktor zu führen.


Grüßt mal alle schön und sagt, dass es mir gut geht. Trotzdem freue ich mich auf meine Familie und Freunde in 76 Tagen.

Julian

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